Am Freitag, den 9. November 2012 stimmten 310 der
insgesamt 330 Abgeordneten von Union und FDP für die Einführung eines
umstrittenen Gesetzes: das Betreuungsgeld. Diese Leistung soll
ab 1. August 2013 Eltern zukommen, die ihr Kind im Alter zwischen eins und drei
Jahren nicht in die Kita schicken. Das Betreuungsgeld wird zunächst 100 Euro
und dann ab 2014 150 Euro betragen. Insgesamt wird die Maßnahme 1,2 Milliarden
Euro kosten[1].
Diese Entscheidung hat die deutschen Parteien in zwei Lager gespaltet.
Einerseits verkündet die Koalition die Wahlfreiheit von Eltern bei der
Betreuung ihrer Kinder zu gewährleisten. Dagegen warnt die Opposition vor einer
„gesellschaftlichen Rückgewandtheit“[2],
wenn man bedenkt, dass diese Pauschale als eine „Herdprämie“ für Frauen gelten
könnte. Deshalb scheint die Debatte über das Betreuungsgeld zwei
unterschiedliche Auffassungen der Erziehung des Kindes und allgemein der
Familie herauszukristallisieren. Die eine sieht das Heim als den gemeinrechtlichen
Ort der Erziehung und gibt den Eltern die Hauptrolle, während die zweite ein
kollektives Erziehen der Kinder fordert. Um die Debatte richtig aufzugreifen,
muss man aber den Zusammenhang der Familienpolitik in Deutschland
berücksichtigen.
In Deutschland wird die Familienpolitik besonders von der Demografie
beeinflusst. In der Tat werden jedes Jahr weniger Kinder geboren. Laut einer
Studie des statistischen Bundesamtes werden im Jahre 2030 voraussichtlich nur
noch 77 Millionen Einwohner in Deutschland leben. Dies entspricht einem
Rückgang um fast fünf Millionen Personen im Vergleich zur Lage im Jahre 2008[3].
Mehrere Gründe dafür können genannt werden. Erstens ist Deutschland die älteste
Bevölkerung Europas und dies führt dazu, dass der Anteil der Frauen in
gebärfähigem Alter rückgegangen ist. Auf der materiellen Ebene wird oft die
Verschlechterung der sozialen und beruflichen Lage ab der Mitte der 1970er
Jahre erwähnt. Außerdem ist die Rede von einem Wertewandel, vor allem bei den
gebildeten Frauen, die ihrer Berufskarriere den Vorrang über ihre Familie
geben. Des Weiteren erklärt man die schlechte Demografie Deutschlands durch die
Pillenknick. Für die Befürworter dieser Theorie ist die Antibabypille für den
Abfall der Geburtenrate verantwortlich.
Die Bestandteile der Familienpolitik versuchen deswegen die Tendenz
umzukehren. In Deutschland haben die Eltern Anspruch auf Kindergeld. Es handelt
sich um einen Zuschuss, den man bekommen kann, sobald dass man ein Kind kriegt.
Dagegen bekommt man die allocation
familiale in Frankreich ab dem zweiten Kind. Die allocation familiale funktioniert wie eine Prämie für zahlreiche
Familien, während das Kindergeld höher als die französische Pauschale ist und
als ein Anreiz für ein-Kind-Familie gilt[4].
Diese zwei Mechanismen sind unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Eltern in
Deutschland können wählen zwischen dem Elterngeld und dem Kinderfreibetrag.
Dieser Freibetrag begünstigt das klassische Familienmodell denn Verheiratete bekommen
einen höheren Freibetrag als alleinerziehende Eltern.
Deutschlands Familienpolitik fokussiert sich auch auf Elternzeit. Das
vorherige Erziehungsgeld wurde 2007 durch das Elterngeld ersetzt. Das
Erziehungsgeld wurde scharf kritisiert, weil es den untätigen Muttern
zugutekam: Während der Elternzeit durfte der Elternteil, der Erziehungsgeld
haben wollte, nur bis zu 30 Stunden Teilzeit erwerbstätig sein. Außerdem wurde
die Leistung für zwei Jahre gezahlt. Das neue Elterngeld ist dafür gemacht,
dass sich die Eltern besonders im ersten Jahr ihrem Kind widmen können. Das
Elterngeld entspricht einer Pauschale von 67% des Nettoerwerbseinkommens (max.
1800 Euro) plus Leistungselement für Geringverdiener. Die Mindestleistung für
alle beträgt 300 Euro. Das Ziel des Elterngeldes ist gleichzeitig den
Einkommensverlust zu limitieren und die Väter zu involvieren, damit die Frauen
nicht die ganze Zeit zu Hause bleiben müssen. Die Leistung wird für ein volles
Jahr gezahlt und für 14 Monate, wenn der Vater mindestens 2 Monate Elternzeit
beansprucht. 2011 beantragten 25,3% der Väter die sogenannten „Vätermonate“. Die
gesamten Kosten des Elterngeldes betragen mehr als 4 Milliarden Euro pro Jahr. Diese
Reform scheint ein neues Familienmodell zu fordern aber sie kommt vor allem den
diplomierten Frauen mit gutem Einkommen zugute, weil die Leistung einkommensabhängig
ist: je höher der Lohn, desto höher das Elterngeld[5].
Nach 12 Monaten sollen die Eltern normalerweise wieder
beruflich tätig sein. Das Problem ist, ein einjähriges Kind ist noch nicht
autonom. Deswegen sollen die Eltern entweder eine Tagesmutter oder eine
Kindertagesstätte suchen. Da drückt der Schuh. In vielen Bundesländern sind
Kitaplätze selten oder es gibt einfach keine sowie im Bayern. Mütter sollen
dann trotzdem zwischen Arbeit und Familie wählen, insbesondere diejenigen die
sich eine Tagesmutter nicht leisten können. Laut der Opposition sei dann das
Betreuungsgeld eine Notlösung[6],
die sich mit der familienpolitischen Herausforderung nicht befasst. Dazu kommt
noch, dass diese neue Reform den Zielen des Elterngeldes widerspricht. Eine
durchdachte Familienpolitik hätte zumindest mehr Kitas ausgebaut und vielleicht
sogar Krippen als obligatorisch durch
gesetzt,
so die Grünen.
Q.H.
Q.H.
[1] „Koalition setzt Betreuungsgeld im
Bundestag durch“, Stern, 9.11.2012.
[2] „Steinbrück will Betreuungsgeld
sofort abschaffen“, Der Spiegel,
9.11.2012.
[3] Demografischer Wandel in Deutschland, „Heft 1:
Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung im Bund und in den Ländern, Ausgabe 2011“,
Statistische Ämter des Bundes und der Länder, März 2011.
[4] Mit einem Kind bekommt man 154 Euro pro
Monat in Deutschland. Mit zwei Kinder 308 Euro in Deutschland und 119 Euro in
Frankreich.
[5]
Angela Greulich, « Les politiques familiales en France et en Allemagne.
Quelles différences ? Quelles pistes de réforme ? », Horizons stratégiques, n°7, janvier-mars 2008.
[6] Das Betreuungsgeld kommt
ursprünglich aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP und gilt als eine
Gegenleistung für Abschaffung der
Praxisgebühr.
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